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Il'ritorno d'Ulisse in Patria — Musiktheater von Claudio Monteverdi
DNT Weimar, 2020/21
Beteiligte
Musikalische Leitung | Gerd Amelung |
Regie | Nina Gühlstorff |
Bühne und Kostüme | Marouscha Levy |
Dramaturgie | Lisa Astrid Meyer |
Choreographie | Hermann Heisig |
Mit: | Alik Abdukayumov (Eumete), Gevor Aperanz (Eurimaco), Georg Bochow (L’humana fragilita/ Pisandro), Uwe Eikötter (Iro), Walter Farmer Hart (Telemaco), Andreas Koch (Nettuno), JK Lee (Giove), Oliver Luhn (Il Tempo/ Antinoo), Emma Moore, (Amor/ Melantho), Heike Porstein (Foruna/ Minerva) |
sowie Tae Jun Sun als Ulisse |
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und Sayaka Shigishima als Penelope |
Opernwelt/ April 2020
Ganz am Anfang der Oper „Il ritorno d’Ulisse in Patria“ von Monteverdi tritt sie auf, die „L’Humana fragilità“, die menschliche Zerbrechlichkeit: Ein sterblich Ding bin ich / Umsonst suche ich gefahrlose Stätten / denn das zerbrechliche Leben ist ein Spielzeug des Schicksals.
Wir hätten also gewarnt sein können. Waren wir nicht, wir dachten wir würden am 25. April 2020 mit eben diesem Stück, der „Rückkehr des Odysseus“ im E-Werk des Deutschen Nationaltheater Premiere haben. Wir hatten halt Pläne gemacht. Wie viele andere, die auch Premieren vorbereiteten, die in die Osterferien fahren wollten, Freunde besuchen, Eltern… Pustekuchen.
Aber noch mal von vorne, die Frage war: Wie geht es einer Regisseurin, der ihre Proben verunmöglich werden, deren Premiere verschoben, vielleicht abgesagt wird?
Am Anfang stand für mich, wie für viele von uns, zunächst der ganz persönliche Schock. Ein Probenbeginn bedeutet ja immer, dass man viel Zeit in die Vorbereitung investiert hat. Zu Probenbeginn ist der Bogen an Wissen und Phantasie aufs Äußerste gespannt, um loszulegen, die Kraftreserven sind eingeteilt. Nach dieser Vollbremsung musste ich mich hart aus der Motivationslosigkeit heraus arbeiten. Proben bedeutet sich nahe zu sein, singen, um Ausdruck ringen – alles Dinge, die man normalerweise mit dem Wort „Intensität“ ganz gut beschreiben kann, die aber zur Zeit einzig und allein bedeuten: „Tröpfcheninfektion“.
Persönlich fragt sich natürlich auch jeder nach seinem finanziellen Auskommen. Wir waren sieben Gäste in der Produktion, die es alle unterschiedlich hart trifft. Deutlich wird, wie ungeschützt die Freiberuflichen sind, wie ungerecht die unterschiedliche Behandlung der Festangestellten und der freischaffenden Künstler*innen ist. Wie sehr gerade die Künstler*innen auch bei den Soforthilfen voll durchs Raster fallen. Aus vielen Gründen falle ich weich, aber ich sehe in meinem Umfeld, bei wie vielen es an die Substanz geht.
Aber eigentlich beschäftigt uns Theaterschaffende ein Drittes: Wann werden wir alle das Vertrauen haben, wieder zu proben; auch die älteren Kolleg*innen, auch die, die Angehörige pflegen? Wann wird unser Publikum wieder ohne Sorge zu uns kommen ins Theater? Und da ist das Theater ja nur ein Mini-Modell für die gesamte Gesellschaft, die sich fragt, wie sie es schaffen kann, zum Miteinander zurück zu finden, den Nachbarn wieder zum Nachbarn werden zu lassen und nicht zum potentiellen Virenüberträger. Und kehren wir überhaupt zurück in das Alte oder in ein völlig Neues?
Als Odysseus los fährt nach Troja, da glaubt er, dass er eine Weile fort ist und dass er irgendwann zurück kehrt in seine Normalität. Aber das ist ein Irrtum. Das Ende seiner 20-jährigen Irrfahrt ist erst der Anfang einer erneuten Odyssee des Heimkommens, bei dem Odysseus durch ein Massaker an den Freiern versucht, eben diese 20 Jahre auszulöschen und „seine“ Normalität und damit seine Macht wieder herzustellen. Ist nicht vielleicht die ganze Idee des Zurückkehrens in Dasselbe also Hybris und verpasste Chance zugleich? Was wäre gewesen, wenn Penelope sich mit den Freiern für ein gemeinsames Jetzt zusammen getan hätte? Stattdessen hat Penelope sich in der Geste des Wartens, der maximalen Distanz eingerichtet, so dass sie selbst Odysseus nicht wieder erkennen will.
So sehr wir also auf die Rückkehr in unser Patria, das Theater hoffen, es wird nicht mehr das Gleiche sein. Und das ist ja auch völlig ok, dass man für eine neue Zeit neues Theater machen muss, neue Allianzen schmiedet und hoffentlich trotz härterer Zeiten solidarisch bleibt. Aber bestimmte Dinge müssen sein: Mein Patria ist, wo man intensiv probt und schwitzt und keine Atemmaske braucht und wo man nicht aus dem Wohnzimmer sendet, sondern wirklich beieinander ist und der Atem einen Ton erschafft, den alle hören. – Hoffen wir einfach, dass es nicht zu lange dauert, damit mir nicht auch verlernt haben, wie das geht: Beisammen sein. Dazu gehört auch: Odysseus und Penelopes Patria ist eine griechische Insel im Mittelmeer. #leavenoonebehind
Nina Gühlstorff
Anmerkung: Die Premiere von “Ulisse” wurde zwei mal verschoben, vorraussichtlich findet die Premiere am 19.3. 2021 statt.